Behave like a Captain 5: „Decide!“

Krisen meistern wie ein Captain 5.:
Erstens: Entscheide! Zweitens: Entscheide richtig!

Mit Krisen – in der Luftfahrt Emergency/Notfall genannt – richtig umgehen und sie sicher meistern, das gehört für Berufspiloten zum Grundhandwerkszeug. Genau deshalb ist die Luftfahrt heute eine der sichersten Transportmöglichkeiten der Welt. Seit ich 15 Jahre alt bin fliege ich, und Krisen wie ein Pilot zu bewältigen, ist für mich eine Lebenseinstellung geworden, die auch aktuell für mich bestens funktioniert.
Was man aus den wichtigsten Emergency-Strategien der Fliegerei für’s Leben, privat oder beruflich, lernen kann, stelle ich Dir hier in dieser Reihe in meinem Blog vor.
Take-off and become the captain of your life!

Decision-Making in der Luftfahrt – Entscheiden wie ein Captain
Kaum etwas berührt uns Menschen so emotional, wie das Thema Fliegen.
Und kaum ein Umfeld gefährdet das Treffen rationaler und richtiger Entscheidungen mehr, als ein emotionales Umfeld.
Decision-Making – die Fähigkeit zu erlernen, (richtig) zu entscheiden, ist deshalb ein wesentlicher Bestandteil der Ausbildung von Pilotinnen und Piloten, denn eines ist klar: Fehlentscheidungen im Cockpit haben schnell hohe wirtschaftliche oder lebensgefährliche Konsequenzen.
Die Landung beim Thema Decision Making ist für viele Flugschülerinnen und Flugschüler erst einmal hart, wenn sie merken, dass ihre bisher vermeintlich objektiven Entscheidungen alles andere als das waren.
Was aber führt dazu?

Unser Gehirn will Energie sparen
Eine Grundregel, nach der unser Gehirn, vereinfacht gesagt, arbeitet, ist unter anderem das Vermeiden unnötigen Energieaufwandes.
Ein Zustand, der unser Gehirn viel Energie kostet, ist das Vorhandensein von kognitiver Dissonanz, also von Widersprüchen zwischen den verschiedenen Gehirnarealen, ein Zustand, der mit den meisten Entscheidungen einhergeht.
Zur Auflösung solcher Dissonanzen bedient sich unser Gehirn verschiedener, in der Regel unbewusst, ablaufender Mechanismen, die den Zweck haben, eine Entscheidung so zu fällen, dass schnell wieder ein bequemer Energiezustand erreicht wird – auch wenn das bedeutet, dass die Entscheidung im Sinne der Sache nicht richtig ist und vielleicht ein paar Augenblicke später zum Problem werden kann.

Typische Mechanismen
Achtung, jetzt wird’s etwas wissenschaftlich aber dafür um so lehrreicher: hier vier Beispiele typischer Mechanismen, die in der Luftfahrt besondere Beachtung finden:
1. Soziale Konformität
Entwicklungsgeschichtlich sind die Überlebenschancen in einer Gruppe größer als alleine. Die Vorstellung, aus der Gemeinschaft ausgeschlossen zu werden erzeugt Stress, die Vorstellung mit ihr verbunden das Gegenteil. Die Folge: sozial konformes und angepasstes Entscheiden und Verhalten wird wichtiger als die richtige Lösung einer Situation.
Stellen wir uns vor, eine Cockpitbesatzung bestünde aus einem dominant-autoritären, altgedienten Flugkapitän und einem jungen, zurückhaltenden und harmoniedürftigen Copiloten. Wie hoch ist hier die Wahrscheinlichkeit, dass der Copilot dem Kapitän in die Steuerung des Flugzeuges eingreift, wenn er bemerkt, dass dieser einen Fehler macht, der eine schnelle Korrektur erfordert? Mit Sicherheit eher gering, obwohl genau das gewünscht wäre.
In der Luftfahrt wird deshalb regelmäßig weltweit für die Luftfahrtgesellschaften ein „Power-Distance“-Index ermittelt, da man gelernt hat: je geringer das sozial empfundene Hierarchiegefälle im Cockpit ist, desto weniger durch sozial konformes Verhalten beeinflusste Fehlentscheidungen werden getroffen. Diverse kommunikative und organisatorische Strukturen sind dabei Werkzeuge, die ein Miteinander auf Augenhöhe im Cockpit fördern.
Sozial konformes Entscheiden war mit eine der Ursachen für den Flugunfall des Airblue Fluges ED202 mit 152 Toten, bei dem ein durch einen autoritär und geringschätzig auftretenden Captain eingeschüchterter Copilot dessen Fehlentscheidungen nicht kommentierte, kritisierte und verhinderte.

2. Kongruitätsprinzip
Es basiert auf der Annahme, dass es einfacher ist, zwischen zwei zueinander in Beziehung stehenden Sachverhalten kongruente als variierende Einstellungen zu haben.
 Deshalb werden nach langem positiven Verlauf eindeutig negative Projektkiller oder mögliche Gefahren kurz vor dem Ziel ignoriert oder übersehen. „Es hat doch bis hierher alles so gut geklappt – dann muss das jetzt am Ende auch gut klappen.“ 
Das Prinzip wirkt auch umgekehrt.
Starke Routine ist ein guter Nährboden für das Kongruitätsprinzip, deshalb achtet man in der professionellen Luftfahrt gezielt darauf, Routinen ab einem gewissen Punkt zu durchbrechen, in dem man z.B. Cockpit Crews immer wieder neu zusammenstellt.
Das Kongruitätsprinzip könnte ein kleiner von mehreren Aspekten sein, der zum Flugunfall Anfang Januar 2024 in Japan beigetragen hat, bei dem ein landender Airbus A 350 nachts mit einer bereits auf der Piste startbereit stehenden Dash 8 kollidierte. Der Flug verlief bis zum Unfall völlig planmäßig und es stand „nur noch“ die standardmäßige Routine der Feierabendlandung an. Dies könnte dazu geführt haben, dass die Besatzung sich unbewusst entschied, nicht davon auszugehen, dass vor ihnen ein (bei Nacht sehr schlecht sichtbares) Flugzeug direkt auf der Piste stehen könnte.

3. Bestätigungsverzerrung
Die Tendenz bei starker Zielerreichungsmotivation nur die Fakten selektiv wahrzunehmen, die auf die Erreichung des Ziels einzahlen.
Gegen dieses Prinzip müssen Cockpitbeatzungen oft arbeiten, wenn sich nach einem langen Flug herausstellt, dass der geplante Zielflughafen z.B. wegen schlechten Wetters nicht sicher anfliegbar ist und die Entscheidung ansteht, einen alternativen Flughafen anzufliegen, was die Unbequemlichkeit einer Umplanung, eines ungewohnten Ortes, einer anderen Unterkunft etc. mit sich brächte. Hier gibt es immer wieder Bespiele für unnötig spannende Landungen in der Luftfahrt, bei denen man sich das Wetter schön interpretiert hat, um nicht am Ausweichflughafen landen zu müssen.

4. Fatale Zielfixierung
Entsteht bei der unangenehmen oder beängstigenden Vorstellung, einen Plan nicht zu erfüllen oder ein Ziel nicht zu erreichen.
 Durch Stress sinkt die Gehirnleistung, es entsteht ein Tunnelblick auf das Ziel. Alles andere, wie zum Beispiel eindeutige Fakten, dass das Ziel unerreichbar ist, werden nicht wahr genommen.
Dieser Mechanismus hat in der Luftfahrt gerne den Beinamen „Ankommeritis“.
Gegen sie müssen Piloten z.B. bei einem Triebwerksausfall in niedriger Höhe nach dem Start arbeiten: anstatt die unmögliche Umkehr zum sicheren Flughafen zu versuchen, muss bewusst die Entscheidung zur Notlandung außerhalb getroffen werden.
Die berühmte Landung im Hudson River ist ein gutes Beispiel für ein korrektes Decision Making der Besatzung in solch einer außergewöhnlichen Situation.

Ein permanenter Prozess
Gutes Decision Making muss immer wieder geübt und am Leben gehalten werden, da der Grundmechanismus unseres Gehirns, möglichst wenig Energie aufwenden zu wollen, bestehen bleibt.
Selbstkontrolle, Selbstführung und vor allem kompromisslose Disziplin, aber auch Führung und Kontrolle von außen unterstützen Cockpitbesatzungen beim Thema Entscheiden. So führen sie nach jedem Flug ein Debriefing durch, sie werden darüber hinaus regelmäßig bei Trainings- und Checkflügen überprüft und dabei auch komplexen Sondersituationen ausgesetzt. Der Umgang mit den oben genannten Mechanismen im Rahmen des Decision Making ist dabei ein wichtiges Mess- und Bewertungskriterium.

In der Wirtshaft wie im Cockpit
Selbstverständlich beeinflussen die oben genannten Mechanismen in gewissem Maße alle Entscheidungen, die wir fällen – privat und in der Wirtschaft.
Ich bin mir sicher, dass für Viele beim Lesen dieses Artikels die Brücke der Erkenntnis zu vergangenen, vielleicht schlechten, Entscheidungen im eigenen Unternehmen (die hoffentlich noch nicht zu dessen Absturz geführt haben) leicht zu bauen ist.
Wie oft, entscheiden wir uns für ein „Ja“ obwohl wir „Nein“ denken, weil wir uns vom Umfeld oder autoritären Leadern sozial unter Druck fühlen?
Wo entscheiden wir am Ende einfach unreflektiert, weil doch „bis hierher alles schon gut geklappt“ hat?
Wo entscheiden wir uns, an einem Ziel oder Projekt auf Grund eines vermeintlichen Silberstreifs am Horizont fest zu halten und ignorieren, dass uns bis dahin die Kosten fünf mal davon gelaufen sind?
Wo treffen wir angst- und stressgetrieben, für alle erkennbar, die Entscheidung, per Kopf durch die Wand an einem nicht (mehr) erreichbaren Ziel fest zu halten und können das selbst nicht erkennen?

Wie viele Kosten, Fehler und Frust könnte man also sparen, wenn man hier die ein oder andere Struktur aus der Luftfahrt übertragen dadurch das unternehmensinterne Decision Making deutlich verbessern würde?

Beitragsfoto: Benedikt Barby

 

Über den Autor

Janik Eggler, fliegender Leadership Trainer und Business Coach.
Über 13 Jahre selbst als Führungskraft, Bereichsleiter und Manager in der Telekommunikations- / Finanzdienstleistungsbranche im Daimler Konzern und der IKEA Gruppe durch dick und dünn gegangen. Seit 25 Jahren Trainer und Coach für Leader und Teams, seit 30 Jahren leidenschaftlicher (Berufs-) Pilot und Kunstflieger, sowie Fluglehrer.


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