Behave Like a Captain 2: „Stay Fit“

Krisen meistern wie ein Captain: 
2. Halte Dich körperlich fit


Mit Krisen – in der Luftfahrt Emergency/Notfall genannt – richtig umgehen und sie sicher meistern, das gehört für Berufspiloten zum Grundhandwerkszeug. Genau deshalb ist die Luftfahrt heute eine der sichersten Transportmöglichkeiten der Welt.

Seit ich 15 Jahre alt bin fliege ich, und Krisen wie ein Pilot zu bewältigen, ist für mich eine Lebenseinstellung geworden, die auch aktuell für mich bestens funktioniert.
Was man aus den wichtigsten Emergency-Strategien der Fliegerei für’s Leben, privat oder beruflich, lernen kann, stelle ich Dir hier in dieser Reihe in meinem Blog vor.
Take-off and become the captain of your life!

Auch die im zweiten Teil dieser Reihe beschriebene Grundregel klingt erst mal wieder wenig besonders und luftfahrtspezifisch:
Halte Dich körperlich fit.
– nimm ausreichend und vor allem regelmäßig Flüssigkeit, am besten Wasser zu Dir

– das gleiche gilt für Nahrung, am besten gesund, leicht verdaulich, mit ausreichend Energiegehalt
– sorge für ausreichend Sauerstoff/Frischluft
– bewege Dich regelmäßig körperlich
– baue Regenerationsphasen ein
Doch wie soll denn das in einer Notsituation funktionieren – da hat man doch Wichtigeres zu tun?

Notfall ist nicht gleich Notfall
Natürlich gibt es ganz akute, direkt lebensbedrohliche Notfälle, während denen keine Zeit mehr zur Versorgung mit Nahrung oder Flüssigkeit bleibt – deshalb achtet ein verantwortungsvoller Pilot schon während des Normalbetriebs permanent darauf, sich körperlich fit zu halten und ist somit für die jederzeit mögliche Emergency in einer optimalen körperlichen Ausgangslage, weil er Reserven, in diesem Fall physische, aufgebaut hat.

-> Reserven aufbauen / im Normalbetrieb nie am Limit zu sein, ist eine absolute Grundregel für Piloten, über die ich hier schon einmal geschrieben habe.
Diese Haltung beschreibt das Zitat das ehemaligen Concorde Captains John Hutchinson:
“If everything was going absolutely perfectly, then you could just sit there and watch the thing fly itself across the Atlantic at twice the speed of sound.
But all the time you had the think about what you would do if there was some sort of an emergency.”


Die meisten Notfälle in der Luftfahrt mögen für Außenstehende oft erst einmal absolut und unmittelbar lebensgefährlich wirken. Sie liegen aber fast immer eine Stufe darunter und sind aus Pilotensicht als eher „herausfordernde / schwierige / angespannte / stressige Sondersituationen einzustufen.

Corona Krise vergleichbar mit größtmöglicher Emergency?
Hier ist die Frage interessant, zu welcher Kategorie Notfall man nach oben genannten Kriterien die Corona Krise zählen würde?

Die Antwort liefert uns der Gouverneur des Bundesstaates New York – meiner Ansicht nach ein „Professional Captain“ in der aktuellen Situation: „Notstand ja, aber dies ist kein nuklearer Holocaust“ – so Andrew Cuomo.

Energielieferant und Zäsur
Genau in dieser Art von schwierigen, aber nicht akut und vernichtend bedrohlichen Notfällen, die im Flug oft über mehrere Stunden mit unterschiedlichen Intensitätsphasen andauern können, sind Piloten darauf trainiert, sich gezielt regelmäßig mit ausreichend Flüssigkeit und einem Happen Nahrung zu versorgen, und es geht dabei vor allem wieder nur um eines: klar denken zu können.

Gleichzeitig ist kurz etwas Trinken/Essen in angespannten Situationen taktisch ein guter Break, um ungewollte Negativ-Dynamiken zu unterbrechen.
In vielen Fluggesellschaften lernen Piloten genau deshalb, zu Beginn einer Sonder- oder Notfallsituation sich „erst mal einen Kaffee zu bestellen“. Diese kleine Zäsur bewahrt vor aufkommendem, spontanem Aktionismus, und ermöglicht als bewusst gesetzter, ruhiger Anfangspunkt, einen guten Einstieg in die plötzliche veränderte Lage und deren anschließende strukturierte Abarbeitung.

Nahrung und Flüssigkeit – direkter Sprit für Gehirnleistung
Heute kann man die Zusammenhänge zwischen Flüssigkeits- und Nahrungszufuhr neurobiologisch nachvollziehen.

Die wichtigste Erkenntnis: für eine möglichst hohe Gehirnleistung, wie sie zum erfolgreichen Bewältigen von Krisen-, Stress- oder Spitzenleistungssituationen benötigt wird, kommt es darauf an, nicht nur insgesamt ausreichend, sondern vor allem regelmäßig versorgt zu sein.
Ganz vereinfacht erklärt am Beispiel des Trinkens:
Wenn Du 30 Minuten nichts trinkst, beginnt Dein Körper bereits Dehydrierungssymptome zu zeigen, auch wenn Du, absolut gesehen, ausreichend mit Flüssigkeit versorgt bist.
Dahinter steckt die köpereigene Schutzfunktion, möglichst lange mit der vorhandenen Flüssigkeitsmenge auszukommen – Dein Körper weiß ja nicht, wann er das nächste Mal Nachschub bekommt. Er registriert über Rezeptoren im Rachenraum, ob Flüssigkeit zugeführt wird. Passiert dies 30 Minuten nicht, fängt Dein Körper an, langsam mehr und mehr Energie zu sparen und fährt dabei auch die Leistung des Gehirns, einem unserer großen Energieverbraucher, herunter.
Die Folge: Denk- und Handlungsprozesse werden langsamer, schlechter, unkreativer.
Genau das, was man in einer herausfordernden Situation gerade nicht gebrauchen kann.
Die Gute Nachricht: es reicht bereits ein einziger Schluck Wasser, der die Rezeptoren im Rachenraum benetzt, dann geht der Körper davon aus, dass alles wieder passt und fährt die Systeme sofort wieder hoch – das gilt sowohl für die geistige als auch für die körperliche Kondition.

Auch im Spitzensport wichtig
Hohe Leistung wird nicht nur bei Notsituationen in der kommerziellen Luftfahrt gebraucht, Flugschüler am Anfang der komplexen Ausbildung zum Piloten benötigen sie genauso wie die Top-Piloten im Luftsport: bei Segelflugmeisterschaften müssen die Piloten zum Beispiel mehrere Stunden lang bei hochanspruchsvollen, körperlichen Rahmenbedingungen geistige Spitzenleistung in Form von analytischen, taktischen und strategischen Entscheidungen bringen – und dabei nebenbei noch ein Flugzeug ohne Motor über hunderte von Kilometern präzise steuern. Viele der bekannten Europa- und Weltmeister haben im Cockpit eine akustische Signalfunktion, die sie im 20 Minuten Takt daran erinnert, Wasser zu trinken.

Eine weitere Tankstelle für’s Gehirn ist eine gute Sauerstoffversorgung: viele Piloten im Luftsport nutzen bei längeren Flügen auch bereits unter der für Flugzeuge ohne Druckkabine vorgeschriebenen Höhe von 3000 m zusätzlichen Sauerstoff aus einer mitgeführten Anlage und steigern so ihre Gehirnleistung hinsichtlich Konzentration und motorischen Fähigkeiten, was ebenfalls zu einer besseren Leistung und damit zu mehr Sicherheit führt.

Bewegung und Regeneration
Wer schon mal in einem Passagierflugzeug auf Langstrecke geflogen ist, kennt das: ab und zu sieht man den Captain oder den First Officer/Co-Piloten mal durch die Kabine spazieren.

Dahinter steckt der Grundsatz: wenn der Körper in Bewegung oder in eine andere Haltung kommt, kommt der Geist es auch (siehe Folge 1 dieser Reihe).
Sorry, wenn ich Dir als Flugreisendem jetzt die Illusion zerstört habe, der Captain wolle seine Passagiere auf jedem Flug auch persönlich an Bord begrüßen.
Bewegung dient bei einem normalen Flug vor allem dem sogenannten Fatigue-Management, soll also vor Ermüdung schützen, in Sondersituationen dient sie der Steigerung der Gehirnleistung durch bessere Sauerstoffaufnahme und -verteilung.
Die meisten Sonder- oder Notsituationen in der Luftfahrt dauern über einen längeren Zeitraum an. Fällt z.B. bei einem zweistrahligen Passagierflugzeug auf einem Flug von Europa nach Nordamerika mitten über dem Atlantik ein Triebwerk aus, so hat die Crew im Moment des Ausfalls eine kurze intensive Phase, in der das Flugzeug auf die veränderte Situation konfiguriert werden muss, gefolgt von einer weniger intensiven Phase für den verbleibenden Reiseflug, dem wiederum die intensive Phase bei der Landung folgt. Die Crew wird in so einem Fall die entspanntere Reiseflugphase gezielt zur Regeneration nutzen, um für die letzte Phase voll leistungsfähig zu sein. Hierzu gibt es viele Techniken wie zum Beispiel das Power Napping.

Zusammenfassung:
Was können wir für die aktuelle und andere Krisen und deren persönliches bestmögliches Handling also konkret von der Luftfahrt lernen:

Dein Körper ist Dein Triebwerk und Kraftwerk für Dein Gehirn, das wiederum Dein Verhalten und Deinen sachlichen und emotionalen Umgang mit Krisen steuert: deshalb gib ihm den notwendigen Treibstoff damit es optimal arbeiten kann!
– trinke ausreichend und vor allem regelmäßig, am besten Wasser
– ernähre Dich gesund und mit dem nötigen Energiegehalt
– sorge für beides mit Hilfe einer Erinnerungsfunktion, falls Du die Tendenz hast, dies zu vergessen
– nutze Essens- und Trinkpausen, bewusst als Unterbrecher von Dynamiken oder von Aktionismus, tue währenddessen nichts anderes
– gehe regelmäßig an die frische Luft und tanke Sauerstoff
– sorge für regelmäßige Bewegung, plane die Zeiträume dafür gleich konkret morgens
– regeneriere Dich in weniger stressigen Phasen gezielt durch ausreichend Schlaf und anderen Entspannungstechniken, wie Meditation oder Power Napping oder Ausdauersport

Nicht wirklich neu
Was für eine Binsenwahrheit – ein gesunder Geist in einem gesunden Körper – das wusste doch schon meine Oma…

Ja, viele Dinge, um die es hier (und in unserem Leben) geht sind nicht wirklich neu, sei es das „Erst mal Durchatmen“ aus dem vorherigen Post oder das hier beschriebene und oft finden wir sie in einfachen Redewendungen.
Neuer ist jedoch, dass man neurobiologisch mehr und mehr nachweisen kann, dass viele solcher uralten Leitsätze wahr sind und warum.
Wenn Du jetzt also sagst, das klingt alles so einfach und banal – um so besser, denn das heißt, es wird für Dich dann offensichtlich leicht sein, diese „Binsenwahrheit“ umzusetzen. J
Probiere es aus und mit ziemlicher Sicherheit wirst Du unmittelbar eine Verbesserung Deiner Situation wahrnehmen können, sei es, wie Du sie empfindest oder wie Du mit ihr umgehst.

Gutes Gelingen – Prost, und guten Appetit!

Foto: mit Sauerstoff versorgt 4100 m Höhe über der Wildnis des Massif des Écrins in den französischen Alpen.


Im nächsten Post dieser Reihe geht’s um den schönen Satz „Wer jammert, stürzt ab!“


Über den Autor

Janik Eggler, fliegender Leadership Trainer und Business Coach.
Über 13 Jahre selbst als Führungskraft, Bereichsleiter und Manager in der Telekommunikations- / Finanzdienstleistungsbranche im Daimler Konzern und der IKEA Gruppe durch dick und dünn gegangen. Seit 25 Jahren Trainer und Coach für Leader und Teams, seit 30 Jahren leidenschaftlicher (Berufs-) Pilot und Kunstflieger, sowie Fluglehrer.


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