Krisen meistern wie ein Captain:
3. Jammere nicht
Mit Krisen – in der Luftfahrt Emergency/Notfall genannt – richtig umgehen und sie sicher meistern, das gehört für Berufspiloten zum Grundhandwerkszeug. Genau deshalb ist die Luftfahrt heute eine der sichersten Transportmöglichkeiten der Welt.
Seit ich 15 Jahre alt bin fliege ich, und Krisen wie ein Pilot zu bewältigen, ist für mich eine Lebenseinstellung geworden, die auch aktuell für mich bestens funktioniert.
Was man aus den wichtigsten Emergency-Strategien der Fliegerei für’s Leben, privat oder beruflich, lernen kann, stelle ich Dir hier in dieser Reihe in meinem Blog vor.
Take-off and become the captain of your life!
Diesmal geht es um eine grundlegende Haltung von Piloten:
Erkenne die Situation an. Jammere nicht, egal ob sie eigen- oder fremdverschuldet ist. Notfälle sind kein Wartezimmer aus dem man hofft, schnell wieder heraus geholt zu werden, sie sind Bestandteil der Arbeit, PUNKT.
Die Geschichte vom jammernden Captain
Stellen wir uns einfach mal vor, Captain Nörgel ist mal wieder in seinem Passagierflugzeug unterwegs. Wie immer ist er ziemlich genervt, denn es geht einfach mal wieder alles schief: Schon beim Check des Flugzeuges ist er Dank Dauerregen erst mal ziemlich nass geworden, dann scheinen heute mal wieder nur dumme Passagiere an Bord zu sein, die nicht rechtzeitig am Gate waren, so dass er auch noch mit Verspätung starten musste. Und als ob das nicht genug wäre, haben ausgerechnet alle inkompetenten Fluglotsen, die die Welt zu bieten hat, auf seinen Kontrollfrequenzen Schicht und behindern seinen Flug.
Mitten über dem Atlantik dann plötzlich eine Warnung im Cockpit: kontinuierlicher Abfall des Kabinendruckes.
„Das darf doch nicht wahr sein – jetzt war ich gerade diese blöden Fluglotsen los und hätte, nach allem was war, endlich mal Entspannung verdient, und dann das!“ schimpft Captain Nörgel los – und zwar so laut, dass sich sein junger Copilot schon anfängt gestresst zu fühlen.
„Immer gibt man mir das Flugzeug das Probleme macht – ich möchte echt wissen, welcher bescheuerte Techniker da mal wieder seinen Job nicht richtig gemacht hat. Alles Deppen da beim Wartungspersonal, wenn unsereins immer so bei der Arbeit pfuschen würde… Aber ich werde schon raus bekommen, wer daran schuld ist – der kann dann was erleben, das wird eine saftige Beschwerde geben!
Das kommt davon, wenn die Fluggesellschaft ständig nur am Personal und dessen Qualifikation und Bezahlung spart. Wie soll man denn da noch richtig seinen Job machen. Aber auf mich hört ja keiner. Und die vom Betriebsrat kannst Du auch in die Tonne treten. Da arbeitet man 30 Jahre für den Laden und muss sich auch noch ständig mit so nem Mist rumschlagen. So danken sie es einem also! Aber von den feinen Herren Managern sitzt ja keiner selbst im Cockpit und hat dauernd diesen Stress.
Früher waren die Flugzeuge ohne diesen ganzen Elektronik Mist aus China gebaut, da ist so was nie passiert. Da muss man ja nicht Jesus sein, um vorherzusehen, dass das schief gehen muss – aber gut, das haben sie jetzt davon – und ich wette, die werden daraus wieder mal nichts lernen!“
Und dann, an den Copiloten gewandt: „Und dann setzen sie einem ständig so junge unerfahrene Leute an die Seite – wie wär’s, wenn Du mal was unternimmst, anstatt die ganze Zeit nur dumm herumzusitzen? Willst Du, dass wir alle drauf gehen? – Alles muss man selber machen, jetzt reicht’s mir wirkl…“
Weiter kommt Captain Nörgel nicht mehr, denn in diesem Moment sind er und sein durch das Schimpfen passiv gewordener Copilot auf Grund des zu weit gesunkenen Kabinendruckes und deshalb nicht mehr ausreichendenden Sauerstoffgehaltes bewusstlos geworden.
Wer jammert, stürzt ab
Ich bin mir sicher, die ganzen Jammerfloskeln, die unser Captain hier verwendet, kommen Dir nicht unbekannt vor, sind sie doch so oder ähnlich im Alltag oft zu hören.
Die Vorstellung vom nörgelnden, lamentierenden Captain ist für mich ein Paradebild dafür, wie sinnlos, gefährlich und nicht intelligent Jammern ist.
Sinnlos, weil es die Situation null verbessert, somit also Zeitverschwendung ist.
Gefährlich, weil jede Sekunde des nicht Handelns den Flug näher ans Limit führt.
Nicht intelligent, weil letztendlich Captain und Copilot dadurch in eine negativ gestresste Stimmung kommen:
– der Captain, weil er sich fremdgesteuert fühlt, weil sich alles (von außen) gegen ihn verschworen zu haben scheint
– der Copilot, weil er sich vom Captain angegriffen und unter Druck gesetzt fühlt.
Wenn ich als Pilot also jammere:
-> gebe ich die Steuerung der Situation ab (an die Umstände, das böse Leben, das Schicksal, den oder die Schuldigen etc.) und damit die Möglichkeit einer Verbesserung der Situation
-> liefere ich mich aus, verliere ich früher oder später die Kontrolle über das Flugzeug/die Situation – was im Flug sehr schnell eine nicht mehr korrigierbare Fluglage und den Absturz bedeuten kann.
Was macht ein guter Pilot also?
Anstatt nach Schuldigen zu suchen, wird er sich voll auf das Managen, Abarbeiten und Lösen der Situation/des Notfalls konzentrieren. Im Anschluss/nach dem Flug wird er mit allen Beteiligten und seinen Vorgesetzten nach der Ursache für den Notfall suchen, um daraus für die Zukunft zu lernen und die Sicherheit zu erhöhen.
Wie im Flug, so im Leben?
Vielleicht denkst Du jetzt: „Ja aber im Leben ist das ja auch anders, als im Flugzeug – da geht doch nicht gleich die Welt unter, wenn ich jammere. Außerdem: der Captain ist ja schließlich auch dafür ausgebildet, etwas zu unternehmen – in den Situationen, die mir das Leben schwer machen, kann ich selbst ja eh nix machen…“ (will Dir Dein Gehirn weismachen bzw. es denkt es wirklich – dazu später mehr).
[Noch mal zur Erklärung: ich rede hier nicht vom bewussten „mal Jammern“ das, um etwas Dampf abzulassen, im Sinne eines anschließenden sachlichen HANDELNS durchaus eine hilfreiche Methode sein kann.
Anders ist es mit unbewusstem Dauerjammern, das mit Empfindungen wie Unglücklich-/Fremdgetrieben sein, Hilflosigkeit, Frust, Stress etc. verbunden ist.
Ich bin mir sicher, Du kennst in Deinem Umfeld solch einen Dauerjammerer – diesen Typ, bei dem Du, wenn er um die Ecke kommt, schon weißt, dass sich die Stimmung jetzt gleich ganz schnell verschlechtern wird, und Du am liebsten das Weite suchen würdest.]
Das ganze Leben ist ein Flug
Ich finde, das Leben ist nichts anderes, als ein Flug – mit jeder Sekunde die vergeht, verbrennst Du etwas von Deinem Lebens-Flugbenzin und irgendwann musst Du landen… man nennt das Sterben.
Das Gemeine: die Zeit vergeht für uns subjektiv so langsam, dass wir meinen, unser Flug ginge endlos und wir müssten nie landen.
Und ist nicht die einzige, wesentliche Frage diejenige, wie Du Deine Lebens-Flugzeit verbringen willst?
Etwa mit Dauerjammern, dem unglücklichen Gefühl des von den Umständen fremdgesteuert Seins, dem dadurch entstehenden Stress mit all seinen Auswirkungen, nicht nur auf Deine Gesundheit, sondern vor allem auf die reduzierte Leistungsfähigkeit Deines Gehirns und den damit verbundenen Effekten wie, z.B. der dadurch fatalerweise reduzierten Fähigkeit, Dich selbst mit eigenen Lösungen aus dem Jammertal heraus zu bringen?
Stress macht Birne blöd – das hatten wir doch schon
… und zwar im ersten Post dieser Reihe. Dort ist ausführlich beschrieben (am besten noch mal nachlesen), wie negativ sich Stress, wie er auch durch das Gefühl des fremdgetrieben Seins in uns entsteht, auf unsere Gehirnleistung auswirkt:
– unsere Wahrnehmung ist eingeschränkt, selbst wenn es Lösungen gibt, sehen wir sie nicht mehr
– unser Denkvermögen ist eingeschränkt, wir sind nur noch schlecht in der Lage, Situationen zu analysieren, zu bewerten und gute Entscheidungen zu treffen
– unsere Motivation ist eingeschränkt, wir haben wenig oder keine Lust und keinen Mut mehr, eine Lösung zu suchen und Verantwortung zu übernehmen
All dies kann zu einer Negativ-Dynamik führen, die uns immer tiefer in einen regelrechten Jammerstrudel mit all den sich dadurch noch mehr verschlechternden Handlungsoptionen führt.
Das Gehirn spielt uns einen Streich
Jammern ist verständlich, ich kenne kaum Menschen – mich trotz dieses Wissens eingeschlossen – die nicht hin und wieder mal in die Jammerfalle tappen, für manche ist sie leider zum Dauerzustand geworden.
Die Ursachen dafür von gehirnwissenschaftlicher Seite – vereinfacht – erklärt:
Eine der großen Headlines unseres Gehirns ist „Ich will Energie sparen“.
Wenn wir mit Situationen konfrontiert werden, die unbekannt sind, muss unser Gehirn zu deren Bewältigung neue Nervenverknüpfungen aufbauen. Das kostet Energie, was ja vermieden werden soll. Also suggeriert es uns mal schön, das sei unbequem, anstrengend, gefährlich und es sei viel besser, hier jetzt mal keine Verantwortung zu übernehmen, brav in der Komfortzone zu bleiben und nicht aktiv zu werden. (Deshalb tun wir uns oft auch erst mal schwer mit Veränderungen.)
Und wie gelingt uns das am besten: in dem wir die Verantwortung (oder den Schuldigen) im Außen suchen, Jammern und damit indirekt klar machen, dass wir ja gar nichts an der Situation ändern können – was wir spätestens dann auch unbewusst wirklich glauben.
Eine weitere, vermeintlich positive Konsequenz dieses Verhaltens: ich muss keine Angst davor haben, mich durch eventuelle Fehler in Gefahr zu bringen oder unbeliebt zu machen, muss, wenn es schief geht, nicht dafür gerade stehen.
Ein geringes Selbstvertrauen kann ein zusätzlicher Negativdünger für all dies sein.
Do it like a Captain
Wie verhält sich ein professioneller Pilot in dieser Situation:
– er bringt und hält sein Gehirn in einem leistungsfähigen Zustand (siehe Teil 1 und Teil 2)
– sieht dadurch die Situation realistisch und ruhig
– er fängt an, Schritt für Schritt zu handeln
– bindet die, die an seiner Seite sind, in die Lösung mit ein, ermutigt sie
– achtet besonders auf ein konstruktives, positives, lösungsorientiertes, wertschätzendes Verhalten
– holt sich bei Bedarf Hilfe
– wird, auch wenn die Situation erst mal unbekannt oder gar ausweglos erscheint, nie Jammern und die Verantwortung abgeben, sondern immer nach einer Lösung suchen, entscheiden und handeln – IMMER!
Captain Sully, der „Held vom Hudson River“ mag sich kurz in genau solch einer ausweglosen Lage gesehen haben, als ihm klar wurde, dass er, als ihm beide Triebwerke seines Airbus A 320 durch Vogelschlag in solch einer niedrigen Höhe über New York ausfielen, im Gleitflug weder mit einer Umkehrkurve den Startflugplatz La Guardia noch einen der anderen nächstgelegenen Flughäfen erreichen konnte.
Jammern oder gar aufgeben hätte mit großer Wahrscheinlichkeit zu einem Crash in der Stadt geführt. Statt dessen hielt sich der Captain in einem ruhigen Zustand, fällte eine zunächst unkonventionelle (und natürlich unbequeme) Entscheidung, übernahm dafür die volle Verantwortung und rettete mit seiner Crew am Ende allen an Bord befindlichen Personen das Leben.
Werde Unternehmer Deines Gehirns – programmiere es um
Das Schöne: wenn Du anfängst, schwierige Situationen, anstatt sie zu bejammern, konstruktiv zu lösen und in Erfolge zu verwandeln, beginnst Du Stück um Stück Dein Gehirn umzuprogrammieren. Jedes Mal wenn Du in etwas außerhalb Deiner Komfortzone investierst, es erfolgreich meisterst und daraus lernst, werden in Deinem Gehirn Botenstoffe freigesetzt, die ihm Zusatzenergie geben, seine Leistung drastisch erhöhen und Dir ein gutes, glückliches Gefühl machen.
Jammern, hilft Deinem Gehirn, vermeintlich kurzfristig Energie zu sparen. Eine schwierige Situation annehmen, handeln, lösen oder daraus lernen macht weit mehr: es gibt Deinem Gehirn sogar Energie – und zwar deutlich mehr, als Du durch jammern gespart hättest.
Wenn Dein Gehirn ein paar mal die Erfahrung gemacht hat, dass es wesentlich mehr gewinnen kann, wenn Du handelst anstatt zu jammern, wird Dir letzteres in Zukunft ziemlich schwer fallen.
Was braucht es, um da hin zu kommen? Achtung, jetzt kommt das böse D-Wort: Deine DISZIPLIN, Dein Verhalten bewusst zu steuern und zu ändern. Sorry, wenn es nicht durch Hexerei geht, aber ich garantiere Dir: den meisten Menschen macht es recht schnell Spaß.
In diesem Sinne: werde zum Unternehmer Deines Gehirns und packe es an!
Folgende erste Schritte könne Dir dabei helfen:
1. Schaffe und schärfe Dein Bewusstsein für Situationen, in denen Du Stand heute lieber jammerst, als handelst: was gibt es da so Typisches?
-> Wo sind Deine verspäteten Passagiere, dummen Fluglotsen oder schlampigen Techniker?
Achte dabei auf Deine Sprache und wo Du sie wie verwendest:
– nutzt Du viele Verallgemeinerungen („immer“, „ständig“ etc.)?
– projizierst Du die Schuld für das Problem im Außen („die da oben“, „die Reichen“, „die Politiker“, „die Corona Krise“, „die Arbeitsmarktsituation“, „die Familie“)?
– verwendest Du oft die Worte „man“ und „müssen“
2. Frage Dich, was Du gewinnst, wenn Du Dich über die Situation beklagst?
-> Bringt es wirklich wieder mehr Sauerstoff in die Kabine?
3. Überlege, welche Resonanz Du in Deinem Umfeld erzeugst, wenn Du jammerst.
-> Welchen Co-Piloten stresst Du damit vielleicht und verlierst dadurch seine Unterstützung?
Wie reagierst Du und wie fühlst Du Dich, wenn der Dauerjammerer um die Ecke kommt und auf Dich zusteuert?
4. Halte Dir das Bild vom Captain im Cockpit vor Augen – wenn Du Captain wärst, wie würdest Du die Situation oder den Notfall jetzt anpacken?
-> Weiterjammern oder Sauerstoffmaske aufziehen und in die Problemlösung gehen?
5. Nutze Techniken, um in einen guten Gehirnleistungszustand zu kommen:
– sieh es mit Galgenhumor – er ist eine gute Waffe und eignet sich als Break
– nutze Techniken aus dem ersten oder zweiten Teil dieser Reihe
6. Nimm die Situation an und suche, wo Du Einfluss nehmen kannst:
Was ist der erste kleine Schritt in Richtung Lösung, den Du gehen kannst, der Dich bei einer Fehlentscheidung „nicht umbringt“ sondern höchstens Kratzer verursacht? Wenn Dir keiner einfällt, hole Dir Hilfe.
Jeder noch so kleine Schritt wird das System verändern und Dir neue Entscheidungs- oder Lernchancen (z.B. wenn der kleine Schritt ein Fehler war) bieten.
7. Ändere Deine Sprache, verwende:
– „ich“ anstatt „man“
– „wollen“ anstatt „müssen“
und lass Worte der Verallgemeinerung einfach weg.
8. Stay tuned – weitere Techniken kommen in den folgenden Posts.
Das Symbolfoto für diesen Post war natürlich kein Notfall, sondern gewollter Kunstflug-Spaß.